Es scheint, wir Deutschen möchten den Platz, den das zusätzliche :innen einnimmt, durch Einsparen von Adjektiven wettmachen. Hatte früher ein Mensch eine norddeutsche Mentalität, hat ein Mensch heute nur noch Mentalität. Ein Mensch mit stahlharten Nerven hat eben Nerven, die werden schon irgendwie sein und wenn nicht, merkt man das auch. Und ein Mensch mit einem interessanten Charakter ist nun nur noch ein Mensch, der Charakter hat. Der Gesprächspartner, oder doch eher in so einem Fall Gesprächsgegner, muss sich ja auch nicht gleich etwas Kompliziertes wie undurchsichtig, eigenartig, phlegmatisch, melancholisch oder gar aufbrausend davordenken. Mit gut und schlecht kann jeder aus dem Zusammenhang heraus leicht die Lücke im Kopf füllen, die sich vor dem Wort aufgetan hat. Einfacher geht's aber, wenn man sich bei einem Gespräch gleich Nomen sucht, die das Adjektiv implizieren. Ich bin also nicht mehr eine [steht davor:sanfte] Seele, sondern ich habe Empfindlichkeit. Viele Menschen haben Empörung und manche Frauen haben Augenweide. Voila.
Die hat Augenweide
30. 01. 2023: